Am 22. August fand ein regelrechter Mammutgerichtstag im ”Biberacher Bauernprozess” statt: Verhandelt wurde gegen einen Unternehmer, der an den Protesten gegen die Grünen in Biberach am “Politischen Aschermittwoch” der Grünen 2024 teilgenommen hatte. Schon im Vorfeld hatten Kritiker moniert, dass die ”Biberacher Aschermittwochsprozesse” durch das Vorgehen einer offenkundig weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft geprägt seien. Am Freitag wurde dieser Eindruck für viele Beobachter bestätigt. Das Ergebnis war enttäuschend.
Dieser Artikel von Stef Manzini und Michael von Lüttwitz erschien zuerst bei stattzeitung.org (Hervorhebungen und Zwischentitel durch Report24):
Über neun Stunden dauerte am 22. August 2025 der Mammutgerichtstag im ”Biberacher Bauernprozess”, rund um den politischen Aschermittwoch der Grünen vom vergangenen Jahr. Mit dabei der bekannte Rechtsanwalt Ralf Ludwig. Das Urteil war mehr als unbefriedigend, zumal das Gericht der Wahrheitsfindung quasi selbst einen Riegel vorschob.
Dem sonst unabhängigen, aber aufgrund der bisherigen Prozesse sicher voreingenommenen, Beobachter beschlich das Gefühl, die Justiz ist wiederum nicht mehr neutral und die Staatsanwaltschaft ist ein Werkzeug der Politik. Kriminalisierende Ermittlungsarbeit wird zum juristischen Geschäftsmodell. Unabhängig vom Urteil sprengten bislang nicht beleuchtete juristische Gegebenheiten den regelrecht eingeengten, von der Staatsanwaltschaft vorgegebenen Meinungskorridor. Leider wieder weitgehend erfolglos! Unter dieser erweiterten rechtlichen Sichtweise erscheinen die politischen Bauernprozesse in einem ganz neuen Licht.
Nur nicht für den Richter?
Personenkontrolle und grobes Abtasten
Bevor die Gerichtsverhandlung losging, waren die Besucher des Prozesses bereits maßlos empört. Eine vom Gericht zur Gewährung eines ordentlichen Gerichtsablaufs angeordnete Personenkontrolle wurde unverhältnismäßig hart und unter Missachtung der Menschenwürde durchgeführt. Nach Abgabe aller nicht notwendiger Utensilien, passierten die Besucher einen Metalldetektor wie am Flughafen, anschließend kam es zur Leibesvisitation. Das weibliche Geschlecht wurde auch im Brustbereich und Schritt durch (intensives) Abtasten untersucht, bei den Herren geschah die Untersuchung im Genitalbereich dezenter, aber dennoch ebenfalls entwürdigend. Anderenorts würde man von sexueller Belästigung sprechen, zumindest liegt ein eklatanter Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die menschliche Würde vor, da routinemäßiges oder unbegründetes Abtasten von Schritt und Brüsten nicht zulässig ist. Wer sich einer derartigen Kontrolle verweigerte, hatte kein Recht, der Verhandlung beizuwohnen. Hier stellen sich die Fragen: Ist das schon Nötigung? Sollen hierdurch Menschen eingeschüchtert werden, damit sie auf eine Prozessbeobachtung verzichten? Fotografieren durfte man diese demütigende Prozedur laut Hausordnung und auf extra Nachfrage bei der dafür zuständigen Richterin nicht. So müssen Zeugenaussagen genügen, anstelle von beweislastigen Fotodokumentationen.
Kritiker prangerten wiederholt weisungsgebundene Staatsanwaltschaft an
Im Vorfeld des Biberacher Gerichtstag am Amtsgericht organisierte Biggi Münz und ihr Team bereits um 8 Uhr, und damit eine Stunde vor dem Prozess, eine publikumswirksame mediale Demonstration vor dem Gerichtsgebäude. Ihr Thema lautete: ”Demonstration der Tatsächlichkeiten – Allee der Beweise”. Auf Transparenten und mittels Videoabspielungen kam zur Dokumentation, dass die ”Biberacher Aschermittwochsprozesse” bislang nur unter sehr eingeschränktem Blickwinkel der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes geführt wurden. Kritische Beobachter der Prozesse beschlich bereits mehrfach das Gefühl, dass die ”weisungsgebundene Staatsanwaltschaft” und das ”freie” Gericht scheinbar nur vollstreckende ”Sprechpuppen” der Politik sind. Die grüne Landesregierung Baden-Württemberg hatte im Vorfeld der Verhandlungen in einer öffentlichen Veranstaltung eine konsequente und harte Aufarbeitung des Biberacher Bauernprotests gefordert. Dieser Weisung müssen offensichtlich harte Urteile folgen, die auch aufgrund einer extra eingesetzten Sonderermittlungsgruppe der Polizei zum politischen Aschermittwoch der Partei B´90/die Grünen am 14. Februar 2024 von Justizminister Strobel eingesetzt wurde. Ein Interview mit Biggi Münz erscheint auch in dieser Woche.
Anklage: Landfriedensbruch, Nötigung und Widerstand
Angeklagt war diesmal der Unternehmer Daniel S. in den drei Standardvorwürfen der ”Aschermittwochsprozesse”: Landfriedensbruch, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Kern der Anklage war das Blockieren von zwei Dienstfahrzeugen aus dem Fuhrpark des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir in der Gigelbergstraße neben der Stadthalle von Biberach, in der die ”Aschermittwochsveranstaltung” der Grünen hätte stattfinden sollen. Diese wurde jedoch von der Partei unverständlicherweise, und nicht auf polizeiliche Weisung hin, abgesagt.
Sollte hier ein Szenario konstruiert werden, um die Bauernproteste zu zerschlagen?
Als Beweis für die vorgeworfenen Straftatbestände wurden unter anderem polizeilich angefertigte Videos präsentiert, die das Geschehen aus einer Vogelperspektive zeigten, nicht aber aus der realen Perspektive der Versammlungsteilnehmer. Drei Zeugen aus dem Polizeibereich sollten mit ihren Ausführungen Klarheit in die Anschuldigungen der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft bringen.
Ansammlung oder Versammlung?
Und diese Klarheit brachten sie dann auch, allerdings wurde diese vom Gericht anders gewürdigt als von der Verteidigung. Zentraler Punkt der Prozesse war die Frage, ob es sich bei den protestierenden Bauern um eine Versammlung handelte oder nur um eine Ansammlung von Menschen. Der Revierleiter der Polizei Biberach, zugleich oberster Einsatzleiter am Aschermittwoch, stellte sich vorschnell auf den Standpunkt, es wäre eine Ansammlung von Menschen gewesen, um anschließend darzustellen, dass er dieser Versammlung angeboten hätte, auf einem von ihm speziell ausgewiesenen Versammlungsplatz die Versammlung fortzuführen. Damit war eigentlich klar, dass die angebliche Ansammlung von Menschen tatsächlich als Versammlung eingestuft wurde, zumal sie auch die Formalitäten einer entsprechenden Versammlung erfüllte.
Da, wie der Einsatzleiter zugab, keine Auflösung der Versammlung ausgesprochen wurde, zumal die Polizeikräfte die extra aus Göppingen angefordert wurden und speziell für diese Art Einsatz ausgerüstet sind, laut deren Aussage unverständlicherweise die Mittel für eine eindeutige und unmissverständliche Kommunikation nicht vor Ort hatte, fehlte der anschließenden Räumungsaktion der Polizei die rechtliche Grundlage. Da die Versammlungsauflösung nicht vorgenommen worden war, waren auch die angeblich von der Polizei ausgesprochenen Platzverweise obsolet, zumal obendrein, da ohne Megaphone, keine zu hören waren. Wie die Verteidigung unter Berufung auf höchstrichterliche Entscheidungen ausführte, hätte die Versammlung unter polizeilichen Schutz gestellt werden müssen. Diese rechtsstaatlichen Prinzipien wurden jedoch von der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft und dem Richter ignoriert, während die Verteidigung mit Nachdruck darauf beharrte, dass diese rechtlichen Grundgegebenheiten zu beachten seien.
Richter fand keine Gewalt in Videos zum Angeklagten
Die Vernehmung des Biberacher Revierleiters ergab, dass im gesamten Stadtbereich von Biberach lediglich drei Polizisten leicht verletzt worden waren, wobei deren Verletzung nicht benannt werden konnte. Daraus schloss die Verteidigung, dass man mit dem immer wieder ins Spiel gebrachten Gewaltbegriff vorsichtig umgehen müsse, zumal deutlich wurde, dass die Polizei wegen der ”Harmlosigkeit” der Versammlung auf spezielle Schutzkleidung verzichtet hatte.
Die bildliche Gewalttatdokumentation des Angeklagten durch einen Sachbearbeiter für Videoauswertung verursachte richterliche Irritationen, weil der Richter auf verschiedenen Bildern keine Gewalt erkennen konnte. Fast comedyartigen Charakter kam einem Bild zu, auf dem der Angeklagte gar nicht zu sehen war, aber als Beweis für dessen Gewalttat angeführt wurde. Interessanterweise gab es den Hinweis, dass die Täterermittlung mit Hilfe der Technik der Funkzellenauswertung bewerkstelligt wurde. Diese ist aber nur für schwere Kriminalität unter strengen Voraussetzungen gestattet. Ob eine derartige Täterfindung überhaupt im Rahmen der ”Aschermittwochsermittlungen” zulässig ist, wurde weder angesprochen noch geprüft. Im Verneinungsfall würde also diese Täterermittlung eine rechtswidrige Handlung der Polizei darstellen, zumal ein richterlicher Beschluss für ein solches Vorgehen vonnöten ist. Der Sachbearbeiter gab nicht an, ob ihm ein solcher Beschluss vorgelegen habe.
Suggestivfragen an die Zeugen
Besonders irritierend bei der Verhandlung war, dass der Richter die Zeugen immer wieder mit Suggestivfragen konfrontierte, das heißt, er legte ihnen die gewünschte Antwort geradezu in den Mund. Diese Art der Befragung fiel schon in allen vorherigen Gerichtsverfahren unter seinem Vorsitz auf. Die Verteidigung bat darum, sich auf klar formulierte Fragen zu beschränken, was er sodann sofort akzeptierte.
Der dritte Zeuge, der stellvertretender Einsatzleiter der Eingreiftruppe in der Biberacher Gigelbergstraße, gab an, dass er fast bis zum Ende des Protests gegen die Dienstfahrzeuge des Bundeslandwirtschaftsministers der Meinung war, in einem der Fahrzeuge hätte der Minister gesessen. Der Verteidiger nutzte diesen Hinweis, wie schon mehrfach zuvor, um aufzuzeigen, dass es sich tatsächlich um eine Versammlung handelte, bei der die Protestierenden ihren Unmut gegenüber den landwirtschaftlichen Maßnahmen kundtaten, denn auch sie dürften wie der stellvertretende Einsatzleiter der Meinung gewesen sein, im Fahrzeug säße der Landwirtschaftsminister, der zuvor auf dem Gigelberg eine Rede gehalten hatte.
Fragwürdige Polizeimaßnahmen
Der Zeuge entpuppte sich im Weiteren als der verantwortliche Polizeibeamte für den Pfeffersprayeinsatz. Sein Pfefferspray gefährdete auch unbeteiligte Passanten auf dem Bürgersteig. Er hob hervor, dass die Fahrt der Dienstfahrzeuge nur durch den Einsatz des Pfeffersprays durchgesetzt werden konnte. Der Einsatz des Pfeffersprays und der Schlagstöcke erfolgte laut seiner Aussage lediglich durch konkludentes Verhalten, nicht jedoch durch eine eindeutige und unmissverständliche Verlautbarung, wofür die Eingreiftruppe unverständlicherweise auch gar nicht ausgerüstet war.
Besonders dubios offenbarte sich die Entscheidung eines Beamten des Bundeskriminalamts, dass die Dienstfahrzeuge ausgerechnet durch eine Straße mit einer Menschenmenge durchgeleitet werden musste. Die Verteidigung verwies darauf, dass es auch einen anderen Weg, der als Feuerwehrzufahrt ausgeschildert war, gegeben hätte. Er wäre das mildere Mittel im Vergleich zur unter Gewalteinsatz erzwungenen Fahrtdurchsetzung gewesen. Der Revierleiter der Polizei Biberach sah diesen Weg als nicht gegeben an, weil ein ortsunkundiger Bundeskriminalbeamter mit Entscheidungshoheit behauptet hätte, die Fahrt durch die Menschenmenge wäre nötig, da alternativlos. Maßgeblich wichtig scheint im Kontext mit den “Aschermittwochsvorgängen“ in Biberach insgesamt zu sein, und hier einmal nochmals festzuhalten, dass laut Recherchen der Verteidigerin Sümerya Öz am 20. Mai 2025 eine komplette Blockade der Stadthalle Biberach, wie bisher stets behauptet, nie den Tatsachen entsprach. Wie sonst hätte der populäre “Grüne“ Jürgen Trittin ungehindert in die Stadthalle gelangen sollen? Diesen außerordentlich wichtigen Aspekt hat das Gericht bewahrheitet- also als wahr bezeichnet. Nachzulesen im stattzeitung.org-Artikel hier.
Warum der Weg durch die Menge?
Inwieweit der BKA-Beamte den alternativen Weg überhaupt begutachtet hatte, konnte nicht geklärt werden. Deshalb stellte die Verteidigung den Beweisantrag, diesen Beamten zu vernehmen. Der Richter wies den Antrag ab, mit dem Hinweis: “Ist zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich.“ Eine Begründung dieser verwunderlichen Ansicht gab der Richter nicht. Damit war ein grundlegendes Moment der Wahrheitsfindung vom Gericht verworfen worden.
Wer den Alternativweg kennt, weiß, dass dieser problemlos zu nutzen ist und laut eines Zeugen am Aschermittwoch auch ungehindert hätte passiert werden können. Die Fahrzeugkolonne des Landwirtschaftsministers hätte diesen Weg also problemlos nutzen können, wodurch sich die rechtliche Grundlage für die “Biberacher Aschermittwochsprozesse“ mit ihren Vorwürfen gegen die Angeklagten regelrecht in Luft aufgelöst hätte. Es soll nicht sein, was nicht sein darf- so stellt sich die Situation im Nachhinein dem interessierten Prozessbeobachter dar. Vieles an den “Biberacher Aschermittwochsprozessen“ ist äußerst dubios, so auch das Urteil wegen Nötigung gegen den Pressefotografen der stattzeitung.org. Dieser hatte statt irgendwen zu nötigen lediglich Fotos vom Geschehen gemacht. Auch in diesem fragwürdigen Prozess mit skandalösem Urteil gegen die Pressefreiheit ließ die Richterin zwar Polizeizeugen aussagen, der Fotograf wäre nicht aggressiv, sondern passiv gewesen, nur genutzt hat es zu ihrer Urteilsfindung nicht die Bohne.
Über diese Entscheidung der Verweigerung der Wahrheitsfindung regte sich im Besuchersektor des Gerichtssaals am 22. August 2025 im Biberacher Amtsgericht Unmut, was einen “Ordnungsruf“ durch den Richter nach sich zog. Anscheinend sah sich die Verteidigung wohl nicht mehr in der Lage, der Wahrheitsfindung bei solch richterlichem Vorgehen nachzugehen. Sie stellte deshalb fünf weitere Beweisanträge zur Klärung der rechtlichen Situation, die allesamt vom Richter abgeschmettert wurden, mit dem Standardhinweis “sie trügen zu einer Wahrheitsfindung nicht bei“. Eine Begründung, weshalb die Anträge nicht zur Wahrheitsfindung beitragen sollten, verweigerte der Richter.
Verteidigung plädierte klar auf Freispruch
Letztendlich sah die offensichtlich wie so oft weisungsgebundene Staatsanwaltschaft ihre Beschuldigungen als fast vollkommen bewiesen an und forderte eine Strafe in Höhe von 140 Tagessätzen á 80 Euro – summa summarum 11.200 Euro. Die Verteidigung würdigte ausführlich die rechtlichen Tatbestände und stellte fest, dass es sich bei der Protestaktion eindeutig um eine Versammlung handelte, die widerrechtlich von der Polizei aufgrund einer Falscheinschätzung unterbunden wurde. Im Grund hätte die Polizei diese Versammlung schützen müssen. Im Weiteren verwies die Verteidigung auf die Alternativstrecke für die Dienstfahrzeuge. Durch ihre Nutzung als milderes rechtliches Mittel wäre der Vorwurf der Nötigung erst gar nicht entstanden. Als Beleg nannte die Verteidigung zahlreiche Gerichtsentscheidungen. Zugleich monierte die Verteidigung keine saubere Zuordnung der angeblichen Taten des Angeklagten. Nach Dafürhalten der Verteidigung konnte es daher nur Freispruch geben, was mit tosendem Applaus und einer “Rüge“ des Richters für die Besucher quittiert wurde.
Schuldig in allen drei Tatvorwürfen
Das Urteil “im Namen des Volkes“ lautete, fast schon erwartbar – und dies erkennen wir mit großem Bedauern, schuldig in allen drei Tatvorwürfen. Aufgrund der minderen Schwere der Tatvorwürfe beließ es der Richter bei einem Strafrahmen von 80 Tagessätzen á 70 Euro, also 5.600 Euro. Die Begründung des Urteils lief nach dem eingespielten Muster vorheriger Prozesse ab, wobei Gesichtspunkte des aktuellen Falls Berücksichtigung fanden.
Die deutlich mildere Geldstrafe für den Angeklagten ist ein Ergebnis von Rechtsanwalt Ralf Ludwigs Argumentation. Unbefriedigend für den Angeklagten und für den Anwalt, sowie für Prozessbeobachter bleibt jedoch die Tatsache, dass der Angeklagte Unternehmer Daniel S. in allen drei Anklagepunkten für schuldig gesprochen wurde.
Mehr zum Thema finden Sie auf: Stattzeitung.org
