Die Affäre um den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erschüttert die Grünen und wirft ein bezeichnendes Licht auf die Machtkämpfe in der Öko-Partei. Was als anonyme Vorwürfe sexueller Übergriffe begann, wirkt inzwischen wie eine minutiös geplante Intrige – mit dem Wahlkampfleiter Robert Habecks als lächelndem Gewinner.
Es klingt wie ein schlechter Polit-Thriller, ist allerdings bittere Realität im Berliner Bezirk Pankow: Ein beliebter Bundestagsabgeordneter wird durch fingierte Vorwürfe sexueller Übergriffe systematisch demontiert, sein Nachfolger steht bereits in den Startlöchern – ausgerechnet der Wahlkampfmanager von Robert Habeck. Eine Geschichte über Macht, Intrigen und das Ende politischer Karrieren.
Stefan Gelbhaar konnte sich seiner Sache eigentlich sicher sein. Mit 98,4 Prozent wurde der Grünen-Politiker im November als Direktkandidat für seinen Wahlkreis Berlin-Pankow bestätigt. Der 47-jährige Rechtsanwalt hatte 2021 hier das erste grüne Direktmandat überhaupt errungen. Seine Wiederwahl schien Formsache – bis mysteriöse Vorwürfe sein politisches Leben zerstörten.
Am 13. Dezember 2024, einen Tag vor der wichtigen Aufstellung der Berliner Landesliste, erreichte Gelbhaar ein Anruf der parteiinternen Ombudsstelle. Der Vorwurf: Schwere sexuelle Belästigung. Details? Fehlanzeige. “Ich wurde dazu gedrängt, nicht auf der Liste am Folgetag anzutreten”, beschreibt Gelbhaar die Situation auf seiner Website. Er gab nach – und machte damit den Weg frei für Andreas Audretsch, seines Zeichens Wahlkampfleiter von Robert Habeck.
Was folgte, war eine mediale Kampagne, die ihresgleichen sucht. Der RBB berichtete als erstes Medium über die Vorwürfe, andere Medien zogen nach. Die Geschichte einer angeblichen Betroffenen machte die Runde: K.O.-Tropfen, Gewalt, sexuelle Übergriffe. Nur: Diese Geschichte war frei erfunden, die Zeugin existierte nicht. “Ein in Teilen geplanter Vorgang”, nennt Gelbhaar das heute. Seine Anwälte erwirkten Unterlassungsverfügungen gegen mehrere Medien. Das Landgericht Frankfurt stellte fest, dass es “an einem Mindestbestand an Beweistatsachen” fehle. Doch da war der Schaden längst angerichtet.
Vergangene Woche dann die Enthüllung: Hinter den falschen Anschuldigungen steckt Shirin Kreße, eine 27-jährige Lokalpolitikerin der Grünen aus Berlin-Mitte. Sie hatte die Geschichte erfunden und gezielt gestreut. Doch kann eine einzelne Bezirkspolitikerin eine solch komplexe Intrige alleine spinnen? Die Parteispitze gibt sich ahnungslos. “Die Vorgänge im Berliner Landesverband sind gravierend und auch schockierend”, erklärt Robert Habeck mit betretener Miene. Sein Wahlkampfmanager Audretsch, der größte Profiteur der Affäre, schweigt. Die Parteivorsitzenden Felix Banaszak und Franziska Brantner verweisen auf weitere, angeblich bestehende Beschwerden – Details könne man aus “Vertraulichkeitsgründen” nicht nennen.
Besonders pikant ist die Rolle des RBB. Der öffentlich-rechtliche Sender verbreitete die Anschuldigungen, ohne die Existenz der angeblichen Zeugin zu überprüfen. “Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden”, räumt Chefredakteur David Biesinger ein – eine bemerkenswerte Untertreibung für einen derartigen Verstoß gegen journalistische Grundregeln.
Für Stefan Gelbhaar kam jede Rehabilitation zu spät. Bei der erzwungenen Neuwahl am 8. Januar verlor er seine Kandidatur. Seine politische Karriere ist beendet, während Andreas Audretsch auf dem sicheren zweiten Listenplatz in den nächsten Bundestag einziehen wird. Die Grünen stehen nun vor einem Dilemma: Eine vollständige Aufklärung könnte weitere unappetitliche Details ans Licht bringen. Schweigen hingegen (wie es etwa Habeck an den Tag legt, der in Interviews keine Fragen zum Thema beantworten wollte) nährt den Verdacht der Komplizenschaft. Die Partei, die gern vorgibt, sich Moral auf die Fahnen geschrieben zu haben, muss sich fragen lassen, wie es um ihre eigenen Werte bestellt ist.
Besonders bitter: Der Fall zeigt exemplarisch, wie toxisch der Umgang mit Vorwürfen sexueller Übergriffe geworden ist. Die bloße Anschuldigung reicht, um Karrieren zu beenden – Beweise werden zur Nebensache. Ein gefährlicher Präzedenzfall für die politische Kultur in Deutschland. Die Frage nach den wahren Drahtziehern dieser Intrige bleibt vorerst unbeantwortet. Vielleicht liegt die größte Ironie darin, dass ausgerechnet Andreas Audretsch 2020 ein Buch mit dem Titel “Schleichend an die Macht” veröffentlichte – wenn auch mit anderem Fokus. In Pankow jedenfalls wurde dieser Titel auf makabre Weise Realität.