Die „Weglobung“ nach Brüssel verschaffte Ursula von der Leyen etwas Luft vor einer juristischen Auseinandersetzung für ihre politischen Verfehlungen in Deutschland. Doch nun holt sie der „Pfizergate“-Skandal ein. Kann ihre zweite Amtszeit verhindert werden, oder sitzen die Altparteien das Ganze einfach aus und ignorieren ihren eigenen Verhaltenskodex?
An politischen Skandalen mangelt es Ursula von der Leyen nicht. Noch im Jahr 2019 wurde sogar seitens des medialen Mainstreams spekuliert, ob die damalige Bundesverteidigungsministerin rücktrittsreif sei. Chaotische Zustände in ihrem Ressort und die Berateraffäre setzten ihr damals zu. Selbst juristische Konsequenzen wurden damals in Betracht gezogen. Doch die mächtigen Seilschaften der Union hievten die CDU-Politikerin lieber in höchste politische Ehren – und sorgten dafür, dass sie EU-Kommissionspräsidentin wurde. Damit wurde sie juristisch unangreifbar.
Doch auch während ihrer ersten Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin verstrickte sie sich in einige fragwürdige Angelegenheiten. Dabei setzte sie mit dem umstrittenen Geheimdeal mit Pfizer über die experimentellen Genspritzen noch eins drauf. Doch dieser Skandal könnte jetzt das Ende ihrer politischen Karriere besiegeln. Zumindest dann, wenn es nach dem Belgier Frédéric Baldan geht, der im April 2023 ein Strafrechtsverfahren gegen die CDU-Politikerin angestrengt hatte.
Weil das Verfahren in der Schwebe steckt und erst im Dezember verhandelt werden soll, stellte Baldan nun einen Eilantrag gegen die Nominierung von der Leyens als EU-Kommissionspräsidentin. Sie habe sich der „Anmaßung von Ämtern und Titeln“, „illegaler Interessenvertretung und Korruption“ und der „Vernichtung öffentlicher Dokumente“ schuldig gemacht, so die Begründung. Denn sie hat quasi eigenmächtig per SMS mit Pfizer-Chef Albert Bourla den Kauf von 1,8 Milliarden Dosen der experimentellen Corona-Genspritzen für 35 Milliarden Euro ausgehandelt. Und das, ohne einen offiziellen Auftrag gehabt zu haben.
Jetzt muss ein Gericht in Brüssel darüber entscheiden, ob dies alles ausreicht, um eine erneute Nominierung von der Leyens durch die Europäische Volkspartei (EVP) zu verhindern. Am kommenden Donnerstag will die dafür zuständige Richterin ihr Urteil verkünden – noch vor dem EU-Gipfel. Doch auch wenn das Gericht die CDU-Politikerin quasi „freisprechen“ sollte, bleibt ihr Ruf anhaltend beschädigt. Aber auch jener der EVP und der EU-Führung im Allgemeinen. Wie kann man überhaupt noch darauf vertrauen, dass die europäische Spitzenpolitik künftig auch nur ansatzweise den eigenen Verhaltenskodex respektiert?
Wenn Ursula von der Leyen trotz allem erneut antreten darf, verspielen die EVP und der Rat der Staats- und Regierungschefs ihre letzte Kredibilität. Sie machen dann deutlich, dass der letzte Rest der „Politikerehre“ Vergangenheit ist. Wer sich noch an die Gründe erinnert, warum Wulff und Guttenberg zurücktreten mussten und dann ansieht, wie ein Cum-Ex-Scholz Bundeskanzler wurde und eine „Skandalursula“ an der Spitze der EU-Kommission festgeklebt wird, wird ersichtlich: Das kann und darf so nicht weitergehen. Allerdings darf man sich dann aber auch nicht darüber wundern, wenn immer mehr Menschen sich eine neue politische Heimat suchen. Und zwar eine, die den Politeliten der Altparteien nicht gefällt.