Die „kalten Krieger“ der NATO-Länder haben Russland während der letzten Jahrzehnte zusehends in die Arme Chinas getrieben. Sicherheitspolitisch ist dies eine Katastrophe für Deutschland und Europa. Dies zeigt sich auch im anhaltenden Ukraine-Konflikt. Wann kehrt endlich die Vernunft ein?
Ein Kommentar von Heinz Steiner
Es gab Zeiten, als Wladimir Putin gerade erst Boris Jelzin ablöste, da hätten die Weichen hin zu einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur von Nordamerika über Europa bis hin nach Nordasien gestellt werden können. Damals nämlich wollte der russische Präsident sein Land in die NATO führen. Doch die „kalten Krieger“ in Washington und London lehnten dies kategorisch ab. Warum? Vielleicht waren es nur ideologische Ressentiments gegen den „bösen Iwan“, vielleicht waren es auch geostrategische Überlegungen zur Schaffung von potenziellen Krisenherden in Osteuropa und im Kaukasus. Immerhin brauchte die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes ja weiterhin eine Existenzberechtigung. Putins Russland avancierte zum Feindbild.
Das Ergebnis dieser Entwicklungen, wonach jeder Annäherungsversuch Moskaus an den Westen auf Zurückweisung stieß, sehen wir heute. Die Ukraine ist ein Trümmerfeld, Russland und China arbeiten so eng zusammen wie noch nie, die BRICS+-Gruppe avanciert zu einem geopolitischen und weltwirtschaftlichen Gegengewicht des „Globalen Südens“ zum US-geführten „Wertewesten“ und die Europäer stecken in einer Energiekrise, welche die Deindustrialisierung vorantreibt. Diese eine Entscheidung, Russland nicht in die NATO zu integrieren, hat mittlerweile schon hunderttausende Menschen das Leben gekostet und bedroht zudem die Zukunft Europas.
Gerade der „Wertewesten“ hat sich mit dem Geschwafel von „Demokratie und Freiheit“ und den realen Taten (Unterstützung von brutalen Diktaturen, wenn es strategisch genehm ist, einseitige Angriffskriege gegen unabhängige Staaten, blutige Regime-Change-Aktionen usw.) eigentlich selbst desavouiert. Friedensfalken und Kriegstauben dominieren die Debatte – Menschen, die von Frieden reden und doch Unfrieden säen und Leute, die glauben, mit einem Krieg gegen Russland (und/oder China, den Iran, Nordkorea usw.) für eine friedliche Zukunft sorgen zu können.
Wladimir Putin mag zwar kein „Vorzeigedemokrat“ im westlichen Sinne sein, doch wenn man sich den Corona-Faschismus der „liberalen Demokratien“ der letzten Jahre so ansieht, oder auch den Frontalangriff der linksgrünen Bundesregierung auf die demokratische Rechte in Deutschland, wird klar, wie viel Heuchelei dahintersteckt. Und mit Korruption (Was war da mit den Geldkoffern Helmut Kohls? Wie sieht es mit den ganzen Affären rund um Ursula von der Leyen aus? Was ist mit der Cum-Ex-Affäre und Bundeskanzler Olaf Scholz?) braucht man auch nicht zu kommen. Nicht zu vergessen, dass mit Recep Tayyip Erdogan ein Mann das NATO-Land Türkei regiert, der nicht nur die ethnische Minderheit der Kurden im eigenen Land drangsaliert, sondern zudem auch völkerrechtswidrig militärische Angriffe in Nachbarländern wie Syrien und dem Irak durchführen lässt. Von der Nähe des türkischen Präsidenten zur radikalislamischen Moslembruderschaft ganz zu schweigen.
Doch Fakt ist, dass Europa mit Russland eine nukleare Supermacht als Nachbarn hat, die auch in Sachen Versorgung mit Energie (Erdgas, Erdöl, Strom) und anderen Rohstoffen (vor allem Metalle, aber auch Holz usw.) eine wichtige Rolle spielt. Anstelle des Aufbaus von Feindbildern wäre es sicherheits-, energie- und wirtschaftspolitisch sinnvoller, sich um ein gutes Verhältnis mit Moskau zu bemühen. Glauben Sie, die Lage in der Ukraine wäre eskaliert, hätte man gute Beziehungen zu unserem östlichen Nachbarn gepflegt? Selbst ohne direkte NATO-Mitgliedschaft Russlands (stattdessen über das NATO-PfP-Programm) und mit verschiedenen Handelsverträgen sowie der tieferen Einbindung Moskaus in großeuropäische Organisationen sähe es heute vielleicht anders aus – und hunderttausende Menschen wären noch am Leben.
Auch wenn eine völlige Abkapselung Europas von den Vereinigten Staaten falsch sein würde, wäre mehr strategische Unabhängigkeit dringend nötig. Ob nun über einen europäischen Sicherheitsverbund oder aber auch auf nationalstaatlicher Ebene, mit Armeen, die sich primär auf die Landesverteidigung (und nicht auf internationale Angriffskriege unter dem Deckmantel der NATO) konzentrieren, spielt dabei keine große Rolle. Plus natürlich gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu Washington und Moskau, die militärische Auseinandersetzungen vermeidbar machen.
Doch in Zeiten wie diesen spielt die Vernunft leider keine große Rolle. Wir sehen Kriegstreiber und eine geschmierte Propagandamaschinerie, welche die Sicherheit unseres Kontinents aufs Spiel setzen, während man dabei hilft, dass die Ukraine bis zum letzten Mann gegen Russland kämpft und man damit auch riskiert, dass die Sache eskaliert und russische Atomraketen auf Europa herabregnen. Ist es wirklich das, was wir wollen?