Kanada ist heutzutage nicht für seine Liebe zur Demokratie bekannt. Ein Kommentar vom 20. März im reichweitenstarken kanadischen Mainstream-Medium The Globe and Mail unterstreicht das eindrücklich: Kolumnist Lawrence Martin stellt dort unumwunden fest, dass die freie Meinungsäußerung die Demokratie zerstöre.
Martins Aufhänger ist der vom Establishment gefürchtete „orange man“: Donald Trump. Er stört sich am Internet und ganz speziell an den sozialen Netzen, weil diese den Weg für Trump selbst und „weitere Donald Trumps“ ebnen würden. Die freie Meinungsäußerung, die das World Wide Web den Menschen erlaube, empfindet er als „extrem“.
Die Extreme kamen mit dem Aufkommen des Internets und der Social-Media-Plattformen. Sie lösten einen Tsunami der freien Meinungsäußerung aus. Trotz der Klagen, die wir immer noch über den Mangel an freier Meinungsäußerung hören, gaben diese Plattformen den Massen mehr davon als alles andere zuvor.
Lawrence Martin
Als andere Kommunikationsrevolutionen wie der Buchdruck, das Radio und das Fernsehen aufkamen, wurden sie noch weitgehend von den Eliten kontrolliert. Doch als das Internet aufkam, zogen sich Regulierungsbehörden wie die kanadische CRTC zurück. Alles, was man veröffentlichen wollte, war nun erlaubt. Keine Lizenz erforderlich. Keine Identitätsüberprüfung.
Was für ein Unterschied zu den Tagen, als die Massen keine anderen Möglichkeiten hatten als Interviews mit Menschen auf der Straße, Leserbriefe oder Protestplakate. Wir haben uns von einem Extrem zum anderen bewegt.
Martin behauptet, die freie Meinungsäußerung sei ebenso zu einem Zerstörer der Demokratie geworden wie zu einem Ermöglicher. Er rückt im Kern alles, was nicht von der heiligen Mainstream-Presse freigegeben und veröffentlicht wurde, in die Ecke der Fake News und beklagt sich offen, dass das Internet das Geschäftsmodell von Zeitungen untergraben hätte. Das würde „Mr. Trump und Gleichgesinnten“ zu Macht und Einfluss verhelfen.
Die einzige „Lösung“ sei jetzt strengste Regulierung. Wer das als Zensur betrachtet, leide ihm zufolge an „Amnesie“. Zwar gibt er zu, dass die scharf angeprangerte kanadische „Bill C-63“, ein Gesetz, das die lebenslange Haft für Hassrede ermöglichen soll (Report24 berichtete), übers Ziel hinausschieße, aber er betrachtet die „deregulierte Informationssphäre“ als größte Gefahr.
Das Establishment – politisch wie medial, denn beide Ebenen sind naturgemäß eng verknüpft und hängen voneinander ab – bangt ganz offen um seinen Machterhalt und erhebt die Meinungsfreiheit zum Schlächter der Demokratie: Absurder wird’s heute nicht mehr. Mainstream-Journalisten beklagen dabei durchaus aus verständlichen Gründen, dass alternative Medien, Blogs und allen voran die unzähligen Nutzer in den sozialen Netzen, die Informationen verbreiten und ihnen Reichweite geben, ihnen den Posten streitig machen. Immerhin leidet deswegen das einst sicher geglaubte Geschäft.
Lügner als Hüter der einzig wahren Wahrheit?
Sich nun zum Wahrheitshüter zu erheben, der vor Desinformation schützen will, mutet jedoch absurd an, wo es der Mainstream war, der beispielsweise in den Corona-Jahren auf politischen Zuruf die schädlichsten Falschinformationen verbreitete, indem er nutzlose Maßnahmen propagierte und Kritiker kriminalisierte, um den Pandemie-Status aufrechtzuerhalten. Freie Medien und Social Media-Nutzer fungierten hier als Korrektiv, weil Systemmedien ihren Auftrag nicht wahrnahmen. Das ist grundpositiv. Dass dabei mitunter auch mal krude Theorien verbreitet werden, ist dabei unproblematisch, denn der Mensch hat auch das Recht auf krude Ansichten. Manch einer soll schließlich sogar glauben, dass die Erde abfackelt, weil Menschen bei Ikea einkaufen und importierte Erdbeeren essen!
Wenn kritisiert wird, dass manche Menschen Probleme haben, Fakten zu recherchieren und alles glauben, was ihnen vorgesetzt wird, ist das in erster Linie eine Anklage an den alten Medienapparat und das politische System, das den Menschen das kritische Hinterfragen gezielt abtrainieren will. Geglaubt und gewählt werden soll nur das, was die Obrigkeit vorgibt. Das funktioniert heute immer schlechter – zum Unglück von Regierungen und Staatsfunk, und zum großen Glück für Bürger und Demokratie.