Haben wir alle ein Brett vorm Kopf? Erkennen wir das Offensichtliche nicht? Oder ist es uns schlicht und ergreifend einfach egal, weil wir allesamt völlig abgehärtet und verroht sind? Ich für meinen Teil habe mein Brett vor dem Kopf vor drei Jahren abgelegt, als ich begonnen habe, wirklich aufzuwachen und die Welt rund um mich bewusster wahrzunehmen. Was ich damals nicht geahnt habe: Mit welcher Wucht die Wahrheit zuschlagen kann. Ganz ohne Brett.
Ein Kommentar von Edith Brötzner
Das Problem mit dem Aufwachen ist, dass man danach nicht mehr einschlafen kann und uns nun vieles, das rund um uns geschieht, wie ein einziger Alptraum vorkommt. Mein Alptraum diese Woche war der Teichtmeisterprozess. Als ich mich mit Florian Machl auf den Weg ins Wiener Landesgericht gemacht habe, hatte ich keine Ahnung, was uns dort erwartet. Ein Prozess, der Grauslichkeiten veranschaulicht hat, die sich ein normaler Mensch nicht einmal an den dunkelsten Tagen vorstellen mag. Ich erspare Ihnen die Details, welche Fantasien der verurteilte Teichtmeister hegt – von schwersten, sadistischen Misshandlungen kleiner Kinder bis hin zu deren qualvollem Tod. Nur soviel dazu: Die Übelkeit ist nicht nur einmal in mir hochgestiegen, während des gefühlt nicht enden wollenden Prozesses.
Wären hochrangige Köpfe gerollt?
Als besonderes „Gustostückerl“ menschlicher Abartigkeit kann man wohl auch den Vergleich des Strafverteidigers bewerten. Es ging um das Thema, ob Teichtmeister bewusst gewesen sei, dass hinter jedem Kinderpornobild auch eine Geschichte von Leid, Missbrauch und Vergewaltigung steht. Er verglich diese Erkenntnis damit, dass auch jemandem, der Fleisch isst, nicht immer bewusst sei, dass hier Tierleid dahinterstehe. Ein Vergleich, der an Widerlichkeit fast nicht zu überbieten ist. Überbietbar ist dieser Vergleich eigentlich nur mehr vom Gesamtablauf des Teichtmeisterprozesses. Dieser glich eher einer aufgesetzten Show als einem echten Prozess, wie er einem Mann gebühren würde, der über 76000 grausliche Bilder und Videos von schwerst misshandelten Kinder bearbeitet, gehortet und mit sadistischen Texten untermalt hat. Dass der Angeklagte als quasi freier Mann mit ein paar wenigen milden Auflagen aus dem Saal spaziert ist, liegt vermutlich weniger daran, dass Richter und Staatsanwaltschaft ein Brett vor dem Kopf hatten. Kritiker mutmaßen, dass wohl so einige hochrangige Köpfe gerollt wären, wenn man Teichtmeister weggesperrt hätte. Ein Schelm, wer solche Gedanken hegt und Böses denkt.
Apropos Bretter: Es ist wieder einmal so weit. Der Standard rührt die Werbetrommel für die Verleihung des „Goldenen Brettes“. Das ist ein Spottpreis, mit dem nebulöse Organisationen und der Mainstream namhafte Wissenschaftler, Ärzte und kritisch denkende Menschen schwerst denunzieren und an den Pranger der Lächerlichkeit stellen. Und als wäre es nicht genug, dass man Hetze und Gehässigkeit zum Volkssport erklärt und eine fragwürdige, hassgeplagte Jury auf ehrenwerte Menschen loslässt, scheint es absolut keine moralischen Grenzen in dieser abstoßenden Gattung wütender Hetzer mehr zu geben. Man entblödet sich dort nicht selbst den ehrwürdigen, sanften Wissenschaftler Clemens Arvay, der sich nicht zuletzt schwerst gequält durch die Hetze des Mainstreams das Leben genommen hat, für das „Goldene Brett“ zu nominieren. Über dessen Tod hinaus. Angesichts all dieser Wahnsinnigkeiten drängt sich mir die Grundsatzfrage auf: Haben wir wirklich nur ein Brett vor dem Kopf oder verlieren wir langsam unsere Menschlichkeit.